Manchmal muss man Orte verlassen, um sich deren Schönheit erschließen zu können. So ging es mir mit meiner Heimatstadt, mit Teilen von Deutschland und irgendwann auch mit Europa. Been here, done that – und es gibt doch immer noch mehr weiße als bunte Flecken auf meiner Landkarte. Unterwegs dann viele gute Zeiten, Verwunderung, Faszination, weitschweifende Gedanken, gute Ideen, auch viel Frust, Einsamkeit, manchmal Heimweh, Suff, Rausch und Klarheit – aber definitiv keine Erleuchtung
Doch, eine Erkenntnis ist langsam entstanden, hat sich geformt hinter der eitlen Reise-Fassade, ist durchgesickert, hat sich eingenistet und ist dann geblieben. Klingt schwer sinnbehaftet, ist aber ganz schlicht: Europa ist ein verdammt schöner Flecken Erde! So vielseitig, so abwechslungsreiche – kulturell ebenso wie landschaftlich. Und das alles auf relativ kompaktem Raum. Ich könnte jetzt zwei Hände voller guter Beispiele für die Schönheit unseres Kontinents nennen, denn zwischen dem Nordkap und Gibraltar findet sich eine Fülle atemberaubender Gegenden, die den Vergleich mit der globalen Hall of Fame der grandiosen Landschaften nicht zu scheuen brauchen.
Einer dieser magischen Orte ist das Soča-Tal in Slowenien. Wenn ich hierhin komme geht mir das Herz auf. Dieser eiskalte, glasklare, wilde Fluss, in dessen unverwechselbarem Türkis-Ton man sich verlieren kann, die angrenzenden Wälder und dahinter steil aufragende Gipfel der Julischen Alpen… Was braucht es mehr zum großen Outdoor-Glück?
Wir kommen direkt vom kroatischen Strand mit großem Trail-Hunger zurück in die slowenische Bergwelt. Doch hinter uns liegen nicht nur faule Hängematten-Tage, kaltes Bier, Schnorcheln und tipptopp Seafood an den sanft umspülten Felsufern der Adria. Nein, wir waren schon fleißig und haben zum Auftakt unseres Roadtrips in den Dolomiten auf einen Streich ordentlich Höhenmeter gemacht – sowohl auf- als auch abwärts (--> die Geschichte gibbet hier). Jetzt wollen wir das Soča-Tal auf seine Mountainbike-Tauglichkeit checken.
Unser Zelt schlagen wir in Bovec direkt am Zusammenfluss von Soča und Koritnica auf. Die Szene wird von unzähligen bunten Wildwasserkajaks dominiert und wir sind mit unseren Radln eher die Exoten.
In den nächsten Tagen nehmen wir uns peu à peu und ganz entspannt einige Touren in der Umgebung vor. Stromern im slowenisch-italienischen Grenzgebiet herum, pedalieren durch dichte, schattige Wälder, über große, in gleißendes Sonnenlicht getauchte Schotterflächen, lassen uns auf ruppigen Abfahrten fast die Lenker aus den Händen schlagen und nehmen jauchzend einige schön flowige Singletrails in Angriff. Hier und da warten ein paar Wurzelstücke auf uns und an einigen kurzen Stellen wird unsere Fahrtechnik gefordert.
Auf den Touren ist nix los und am Ende wartet immer irgendwo eine schöne Badestelle, an der wir uns ungestört in ein klares, eisig kaltes Becken stürzen – nä, wat is dat Leben schön hier! Ein besonderes Schmankerl sind die gerade einmal lenkerbreiten Hängebrücken, die von den flachen, einfach fahrbaren aber durchaus spaßigen Trails in direkter Ufernähe abzweigen. Immer wieder bleiben wir stehen und machen minutenlang nichts anderes, außer von einer der Brücken hinab in die rauschenden türkisen Fluten des Flusses zu starren. Hin und wieder zeigen sich sogar ein paar Fische im glasklaren Wasser. Wir ertappen uns dabei, wie uns bei dem Anblick die Forelle in Erinnerung kommt, die uns am Vorabend in einem slowenischen Restaurant in Bovec serviert wurde. Ihre Herkunft aus dem klaren, kühlen Wasser konnte man förmlich schmecken.
Am letzten Abend vor der Heimreise ist der Sternhimmel besonders schön und die Milchstraße steht deutlich über unserem Zelt. „Sommer vorbei…“ singt Frittenbude dazu in meinem Kopf und wir sind uns einig, dass wir noch gut ein paar Tage hier bleiben könnten. Auf jeden Fall gehören die Ufer der Soča nicht zu den Orten, deren Schönheit sich erst erschließt, wenn man längst weitergezogen ist. Ich würde sogar so weit gehen, diesem Tal einen der vorderen Ränge auf der persönlichen „Best of Europe“ Liste einzuräumen – und die haben definitiv Weltklasse.
***Good to know
Ein Abfahrts-Nirwana wie in den Dolomiten hat sich uns hier nicht erschlossen, das haben wir aber eigentlich auch nicht erwartet. Es ist ruppig und felsig, dazu ein stetes auf und ab – damit dominiert im Soča-Tal ein Tour-Charakter. Zum Ballern gibt‘s ohne Frage geeignetere Gebiete. Vielleicht haben wir aber auch nicht die richtigen Routen gewählt. Das gilt es beim nächsten Besuch rauszufinden – ich könnte mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, hier mit leichtem Gepäck zu Selbstversorger-Mehrtagestouren aufzubrechen. Das dürfte ein großer Spaß sein.
Damit wir bei unserer Routenwahl nicht völlig im Dunkeln tappen, haben wir uns schon vor der Abreise den vielfach empfohlenen Tourenführer „30 Mountainbiketouren im Soča-Tal“ von Peter Immich und Michael Kemmler in Buchform organisiert (www.mtb-slowenien.de). Mit knapp 30 Euro ist das übersichtlich gestaltete Werk eine nicht ganz günstige, wegen der detaillierten Beschreibungen samt .gpx-Dateien und zu jeder Tour dazugehörigen entnehmbaren Topo-Karten samt Roadbook aber eine durchaus sinnvolle Investition.
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